Acqua calda

Eigentlich ist die Flussfrau ja eine passionierte Stubenhockerin. Und so kriegen sie in der Regel weder zehn Pferde aus ihrem Flussbau, noch locken sie fernschweifende Argumente weg von ihrer Birs. Wo soll man schon hinwollen, wenn man bereits an einem der schönsten Orte der Welt lebt? Genau, an einen andern, schönen Platz auf Erden halt. Allenfalls.

Diese Begründung griff eines Tages sogar bei der Flussfrau und so packten sie und der kleine Wassermann Koffer und Köfferchen und reisten zusammen gen Süden: Bellinzona, Milano, Bologna, Firenze. Acht panini, 5 Snickers, drei Birnen und zwei Liter Cola und dann endlich weiter mit dem Regionalzug an die Riviera. Und je näher die Räder Richtung Meer ratterten, desto redseliger wurde die Flussfrau: Erzählte von einer Begegnung hier und einem Abenteuer dort, und mit einem Schlag wurde dem kleinen Wassermann bewusst, dass seine Mutter einmal – irgendwann und vor ewigen Zeiten – eine junge Frau gewesen sein musste. Ver- und Bewunderung für diese schier unglaubliche Tatsache mischten sich mit Argwohn und Eifersucht. Denn eigentlich hatte der kleine Wassermann bis anhin fest geglaubt, das einzig wirklich wichtige Ereignis im Lebenslauf seiner Mutter zu sein.

Und so drückten die beiden wortlos ihre Nasen am Zugfenster platt und warteten auf das Auftauchen des Meers. Wetteten, wer es zuerst sehen würde, und natürlich war der kleine Wassermann schneller, und gewann somit ein echtes gelato livornese. Und wie er das freudvoll schleckte, beschloss er, ab sofort ein halber Italiener zu sein. Immerhin heisse er wie ein italiano vero, da dürfe man bei der Biografie wohl ruhig ein bisschen schummeln…

So gingen la mamma und il figlio morgens gemeinsam a scuola, assen per pranzo Berge von cozze e vongole und streckten danach die dicken Bäuche Richtung pineta. Gegen Abend sassen sie auf einem Felsen und schauten auf die Weite des Wassers. Und der kleine Wassermann meinte, ein bisschen sei es hier ja wie zu Hause, nur irgendwie salziger und ohne den grossen Wassermann halt, der ihm wirklich sehr fehle. Aber vielleicht könne man ihn ja das nächste Mal mitnehmen, bestimmt habe auch er einen italienischen Verwandten irgendwo, als Alibi für die Reise sozusagen. Und dann drückte der ometto die Hand seiner mamma, die jetzt nicht nur am Meer sitzend, sondern sowieso nah am Wasser gebaut, ziemlich feuchte Augen bekam.

Und wie dann die Woche schnell vorbei war, wurden die zwei Italiener sehnlich am Basler Bahnhof erwartet. Wer beim Wiedersehen wem das grösste Fest gemacht hat, ist nicht überliefert. Es heisst allerdings, dass sich der König wie stets mächtig ins Zeug gelegt hat. Und der kleine Wassermann liess sich ebenfalls nicht lumpen und begrüsste den Grossen mit den Worten: „Sono Tiziano, ti voglio tanto bene e mi piacciono molto le vongole!“

Und danach küssten alle alle und der grosse Wassermann, der allein doch recht einsam gewesen war im Flussbau, erinnerte sich urplötzlich an einen fern verwandten cugino namens Alfonso, oder Alberto oder vielleicht auch Arturo. Und so war man sich unter Schmunzeln und Umarmen schnell einig, dass man bald wieder ins Land der nunmehr gemeinsamen Vorfahren reisen wolle.

Und bis es soweit ist, hockt die Flussfrau wieder stinkzufrieden in ihrer guten Stube.