A Lucca, amore mio

Ich bin aufrichtig zerknirscht, dass mein letzter Blog an dich so harsch formuliert war. Wie konnte ich nur so kleingeistig sein und nach einem einzigen lauen Treffen mit dir ernsthaft fürchten, dass wir uns verlieren könnten?

Asche über mein eigensinnig mäkelndes Haupt! Zum Glück ist der grosse Wassermann von weiserer Natur und hatte somit auf eigene Faust Tickets für das Konzert in Lucca besorgt. Ich selbstgerechter Sturkopf hätte ansonsten das berührendste all deiner Konzerte glatt verpasst, einfach so, weil mein Ego mal eben etwas betupft war.

So aber sassen wir auf der grossen Piazza in den warmen Mauern von Lucca, die Luft roch nach Zypressen und Olivenöl. Köstlich kitschig die Kulisse und friedlich, fröhlich die sommerliche Stimmung.

Und dann standst du auch schon auf der Bühne, pünktlich, wie seit Jahrzehnten. Und doch war da irgendetwas anders: Deine Bewegungen langsamer und verzögert und deine bis anhin so schlanke Statur breiter, aufgedunsen gar. Und auf der Grossbildleinwand sah ich, gestochen scharf, einen alten Mann.

Aber dann begannst du zu spielen und wenn du spielst, spielst du noch immer wie ein Gott, nur eben besser! Auch deine Stimme hat noch immer die Kraft deiner jungen Jahre. Und ganz nebenbei hattest du an diesem Abend das Repertoire einzig und allein für den grossen Wassermann und mich zusammengestellt, dafür danke ich dir aus vollstem Herzen!

Und in einer Songpause dann sprachst du von Pensionierung. Und davon, dass dich das Touren zusehends ermüdet und die Zeit gekommen ist, daheim zu bleiben und sich in einem bequemen Sessel ein Bierchen zu gönnen. Scherzend kam das daher, unaufgeregt natürlich, wie es deine Art ist. Aber ich wurde hellhörig und den Verdacht nicht los, dass du vielleicht krank bist. Und mir wurde klar, in einem einzigen schmerzhaften Moment, dass du eines Tages nicht mehr da sein könntest. Weg von dieser Welt. Weg von mir. Und ich zurückbleibe. Mit gebrochenem Herzen.

Ohne den liebevollen Vater meiner Träume und Sehnsüchte, dessen Klänge mich getröstet haben, wenn ich traurig, suchend oder gar verzweifelt war. Welche mich aber auch fliegen liessen, wenn ich Freiheit suchte und mutig war und zu neuen Ufern aufbrach. Oder mich aufrecht gehen liessen, wenn man mich klein halten und von meinem Weg abbringen wollte. Und welche mir bis heute wohlwollend zuflüstern, es ist alles gut, so wie es ist!

Und während mich diese Gedanken ganz elend und glücklich zugleich machten, stimmtest du «Sailing to Philadelphia» an und gemeinsam mit deinen hochkarätigen Musikern verwandeltest du Lucca in ein Stück Himmel, oder immerhin in ein Fleckchen Erde, welches dem Paradies erstaunlich nahe.

Mein Gott, Mark, ich verdanke dir und deiner Kunst so unendlich viel, ihr zwei habt mein Leben nicht nur begleitet und beseelt, sondern mich immer wieder heim gebracht! Zuverlässig und zuversichtlich. Grazie infinite!

«Ich glaube, wir sehen ihn heute zum letzten Mal» sprach der grosse Wassermann aus, was wir in jenem Augenblick beide dachten. Und wie du als Zugabe «going home» anstimmtest, lagen wir uns weinend in den Armen.

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