Reiche Ernte

Frühling lässt sein Bärlauch Blatt
wieder spriessen auf den Feldern
sowie herbe duftend gleich in allen Wäldern.
Pflücke Säcke voll bis satt.
Einmachgläser träumen schon,
Wollen sich bald füllen
In gar herrlich grünem Ton!
Frühling, ja du bist’s!
Ich könnt vor Freude brüllen.

Eduard Mörike feat. fröhliche Flussfrau

 

Es ist wie jedes Jahr. Kaum wird’s Frühling, werden die alten Knochen übermütig und das morsche Hirn zum Jungspund. Und so zwängten sich die Flussfrau und ihre Freundin nach langer Pause wieder in ihre eingelaufenen Jogginghosen. «Jeden Winter machen sie das », schimpfte die Flussfrau, «Jeden Winter schrumpfen diese hundsgemeinen Beinkleider um eine ganze Grösse.»

Doch was kümmert einem letztendlich eine Hose von schlechter Qualität, wenn um einen herum das Paradies erwacht? Und so vergass die Flussfrau schon bald den zwickenden Zwirn und freute sich stattdessen mit ihrer Freundin über Krokus und Co. am Wegesrand. Den beiden schnaufenden Frauen stieg zudem ein würziger Duft in den Riecher und weil die Freundin mit letzter Luft von ihrer Bärlauchpesto zu schwärmen begann, nutzte die komplett ausser Atem geratene Flussfrau die Gunst des Augenblicks, um bei einer Verschnaufpause mehr über das grüne Kraut zu erfahren.

Und so kam es, dass die Frauen die Rennerei vertagten und sich stattdessen ins Bärlauchfeld hockten und zu pflücken begannen.

«Du musst immer daran riechen, an jedem einzelnen Blatt», mahnte die Freundin mit erhobenem Zeigfinger. Und die Flussfrau dachte, papperlapapp was soll ich mir so eine Mühe machen, ich weiss ja, was ich hier zupfe und rupfe. Und pflückte somit selig weiter. Gedankenverloren. Blatt für Blatt. Einen ganzen, grossen Sack voll. Liess sich dazu die Sonne auf den Rücken scheinen, war gerade mal fünf Jahre alt und grenzenlos glücklich, einfach so, in diesem Meer aus Grün. Und am Abend, wie schön, würde sie all dieses Glück mit viel Liebe gewürzt ihren Männern servieren.

Zuhause angekommen verschanzte sie sich in der Küche und zerteilte und verquirlte gefschäftig Blätter, Öl und Grana, bis am Ende der Prozedur sämtlich vorhandenen Einmachgläser gefüllt waren. Die Wassermänner beäugten die neue Umtriebigkeit der Flussfrau mit Erstaunen und schauten erwartungsvoll in die Töpfe. Auch le care Zie vom 3. Stock, Zia Cri und Zia Ro, freuten sich über das unerwartete Landfrauenznacht.

Geschmeckt hat es allen. Zweifel an seiner Bekömmlichkeit hatte niemand. Ausser Zia Ro, die still und inständig hoffte, die beiden Kräuterhexen mögen doch bitte den Unterschied zwischen Bärlauch und Maiglöckchen kennen.

Natürlich kannte die Flussfrau den Unterschied nicht. Hatte sie doch eben erst Bekanntschaft mit Ersterem gemacht und nicht die leiseste Ahnung, wie Zweiteres aussah, geschweige denn wie hochgiftig sein Verzehr.

Und natürlich hatte sich kein Maiglöckchen in ihre Sauce verirrt. Gott sei Dank. Weil der Mensch einfach Schwein hat, dann und wann. Und zur Not ganz viele Schutzengel um sich herum.

«Nie mehr esse ich Bärlauchpesto» wetterte der junge Wassermann nach Klärung der Sachlage. «Man kann ja froh sein, dass man noch lebt.»

«Nie mehr pflücke ich Bärlauchblätter, ich bin ja froh, habe ich nicht gleich die ganze Familie vergiftet», pflichtete ihm kleinlaut die Mutter bei.

«Ach, jetzt macht mal keine Tragödie daraus», blieb der grosse Wassermann gelassen wie immer. «Immerhin wären wir alle mit viel Liebe ins Jenseits befördert worden»

Dieser Meinung waren auch die Zie und so wurde am Tag danach bei gut verdaulichem Ragout mit Spätzli gemeinsam auf das Leben und die Liebe angestossen. Und weil Letzteres in der Flussbau-WG in Hülle und Fülle vorhanden ist, boten die Zie sich selbstlos zur Übernahme der restlichen Einmachgläser an.

 

Und für alle, die gerne wieder mal das Original lesen:

Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
— Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab› ich vernommen!

Eduard Mörike

 

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